Auslegung unklarer letztwilliger Verfügungen

Testamente werden häufig von Privatpersonen ohne rechtliche Beratung erstellt. Es ist daher nicht immer klar, was der Erblasser mit den von ihm verwendeten Worten gemeint hat („vermachen“ und „vererben“ werden im nichtjuristischen Sprachgebrauch beispielsweise oft synonym verwendet, haben aber rechtlich grundlegend verschiedene Bedeutungen). Bei der Auslegung von letztwilligen Verfügungen muss versucht werden zu ermitteln, was der Erblasser tatsächlich gewollt hat, er wird also nicht an falsch verwendeten Begriffen festgehalten. Es kommt allein auf seinen Willen an, und nicht darauf, wie ein Dritter die Erklärung verstehen durfte. (s. Bsp. 1)
Um den wahren Erblasserwillen zu ermitteln, können auch Umstände außerhalb des Testaments herangezogen werden, z.B. Aussagen, die der Erblasser zu Lebzeiten getätigt hat. (s. Bsp. 2)
Es muss jedoch beachtet werden, dass dieser Wille im Testament irgendwie zum Ausdruck gekommen sein muss („Andeutungstheorie“). Dies liegt daran, dass letztwillige Verfügungen (Testamente) nur gültig sind, wenn diese eine bestimme Form haben (s. §2247 BGB) und dieser Formzwang nicht umgangen werden darf. (s. Bsp. 3)

Sollte es mehrere Auslegungsmöglichkeiten geben, von denen allerdings alle bis auf eine zur Unwirksamkeit führen, so ist die Auslegung zu wählen, bei der die Verfügung wirksam ist, § 2084 BGB (Wohlwollende Auslegung).

Sollte sich der Wille des Erblassers auch unter Heranziehung von außerhalb des Testaments liegenden Umständen nicht ermitteln lassen, finden gesetzliche Auslegungsregeln Anwendung. Diese finden sich in den §§ 2066 ff. BGB und enthalten z.B. Bestimmungen darüber, wer bedacht ist, wenn der Erblasser nur seine „Kinder“ (§ 2068 BGB) oder „Verwandte“ (§ 2067 BGB) bedacht hat oder die Zuwendung unter einer Bedingung erfolgte (§ 2074 ff. BGB).

Bsp. 1: Der Erblasser schreibt in sein Testament: „Ich vermache meinem Enkel alles was ich habe“ : Trotz der falschen Terminologie ist der Enkel Erbe und nicht nur Vermächtnisnehmer geworden, weil klar ist, dass der Enkel nicht nur einen Anspruch (gegen die Erben) erhalten sollte, sondern selbst in sämtliche Positionen des Erblassers eintreten sollte. Dies ergibt sich auch aus § 2087 I BGB.

Bsp. 2: Der Urenkel des Erblassers E fährt bei diesem immer mit einem Fahrrad, das dem E gehört. E nennt dieses Fahrrad immer sein „Pferd“. Ein richtiges Pferd besitzt E nicht. In sein Testament schreibt E unter anderem: „Meinem Urenkel vermache ich mein Pferd.“ Hier ist aus den Umständen zu entnehmen, dass der Erblasser seinem Urenkel nicht ein Pferd, sondern das Fahrrad vermachen wollte.

Bsp. 3: Das Testament des Erblassers E besteht nur aus den folgenden Worten: „Ich setze meinen guten Freund F zum Alleinerben ein“. Zu seinen Kindern hat er aber immer gesagt, dass diese ihn einmal beerben werden. In diesem Fall ist F der Alleinerben, weil er im Testament dazu eingesetzt wurde. Was E zu seinen Kindern gesagt hat, spielt hier keine Rolle, da eine Erbeinsetzung der Kinder im Testament nicht einmal angedeutet ist.

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